Sein &


Bewusstsein

Leiter der ISSÖ

Wer behauptet, einen Menschen ganzheitlich behandeln zu wollen, muss sich zwangsläufig mit Fragen auseinandersetzen, die an die Themen Sein und Bewusstsein rühren.

Seit Menschen Werke hinterlassen, scheinen sie sich mit dem Sein zu beschäftigen. Die dabei bezogenen Positionen sind schier unzählbar und die darauf errichteten Gedankengebäude türmen sich durch die gesamte Philosophiegeschichte.

Warum also müssen auch wir als ein Institut für Körperarbeit die Frage nach dem Sein zu unserer Angelegenheit machen?

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Wir könnten uns mehr oder weniger abstrakt über das Sein und über den rechten Weg unterhalten, aber das ist nicht das, was wir an der ISSÖ notwendigerweise tun müssen. Wir sind keine Philosophen; wir müssen Wege finden, die uns verlässlich hineinführen in die Betrachtung – und bedachte Anwendung – jener Aspekte des Seins, die uns als Körperarbeiter angehen, wenn wir behaupten, einen Menschen ganzheitlich behandeln zu wollen.

Ob „ganzheitlich“ nun bedeutet, Körper, Geist und Seele als wechselseitig aufeinander wirkende und voneinander abhängige Komponenten eines Zusammenhangs und somit als Einheit zu sehen. Ob es bedeutet, anzuerkennen, dass nicht nur die Umstände des persönlichen Seins selbst, sondern auch die Ideen vom Sein (und von der Person) Einfluss auf das Dasein als Mensch haben. Oder ob man mit dem Begriff besonders darauf hinweisen will, dass man nicht auf der Ebene der Symptome sondern auf jener der Ursachen ansetzt:

Vor dem Hintergrund all dieser Annahmen ist es völlig unmöglich, sich angemessen mit dem System der Wirkungsweisen und Ausdrucksformen des Körper-Geist-Seele-Daseins eines Lebewesens auseinanderzusetzen (zumal auf einer einflussnehmenden Ebene), ohne sich tiefere Einblicke in bestimmte Aspekte dessen, was wir so allgemein das Sein nennen, zuzumuten.


Wovon müssen wir also sprechen?

Immer eingedenk dessen, dass es ja das leibhaftige Wesen des Menschen selbst ist, das wir beeinflussen mit unserer Arbeit – und eben nicht der abstrakte Diskurs in einer Runde von philosophisch Interessierten – möchte ich hier einige Spuren auslegen, denen wir folgen können, wenn wir uns im Dickicht der sachdienlichen Gedankengänge orientieren wollen.

Sein, erste Person Singular: Ich bin. So behaupten wir uns bald nach unserem Eintritt in die materielle Welt. (Und was den Menschen dann wesentlich ausmachen wird, ist die Sorge vor dem eigenen Nicht-Sein...) Die Behauptung unseres Seins aber gelingt uns – lange bevor wir dafür sprachlichen Ausdruck finden – aufgrund unserer Wahrnehmungen. Dazu bedarf es (vor allen Dingen?) der Sinne (siehe buddh. Bewusstsein) – und weiter: der Sinnzusammenhänge.

Man könnte sagen: Unser Dasein erfahren wir durch die Interaktion unserer Körper-Geist-Manifestation mit den Erscheinungen – und dazu zählt bereits das Wahrnehmen (auf körperlicher und geistiger Ebene).

Besonders interessant für uns sind die Funktionsweisen dieser Interaktion. (Wir sprechen bildlich von den Schnittstellen zwischen Körper und Geist.) Einerseits manifestiert sich das Sein über die sinnliche Wahrnehmung – das Werkzeug, das wir dafür haben, ist unser Sinnesorgan Körper – mit all seinen Brillen und Filtern. Andererseits sind wir mit unserem Geist zugleich auch ein interpretierendes Instrument der Betrachtung, das dem sinnlich Wahrgenommenen quasi im selben Atemzug Bedeutung verleiht. Verdeutlichen lassen sich diese Vorgänge unter anderem am Beispiel der Furcht: Wir fürchten uns vor etwas, weil wir wissen, also gelernt haben, dass dieses Etwas uns bedrohlich werden könnte. Die Vorstellung von dem, was in uns Furcht erregt, basiert ursprünglich also auf einem geistigen Konzept, ist allein dem Intellekt geschuldet. Und doch erleben wir diese Furcht körperlich: Herzrasen, „Angstschweiß“, Schwindel, weiche Knie etc., Symptome, die wir wiederum deuten, indem wir sagen: Ich fürchte mich.


So bestimmt nicht nur das Sein das Bewusstsein, sondern auch das Bewusstsein das Sein.

Es sind diese Wege, auf denen unsere Arbeit das Potential hat, dieses durch und durch variable Gut, die Form und Art des Seins, zu beeinflussen. Umstand formt äußere Haltung formt innere Haltung... Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, ist unser Sein beeinflusst von der Justierung der Körper- und Geisteshaltung, die wir mit uns herumtragen. Und das Urteil fällen wir jeden Morgen neu, wenn wir erwachen.

Gibt es ein Sein ohne Bewusstsein? Wo sind wir nach unserem Tod, vor unserer Geburt? Naturgemäß können wir dazu nichts sagen. Das einzige, was wir wissen können ist: Wenn wir erwachen, können wir nicht beschließen, nicht zu sein. Und das Sein, über das wir sprechen können, ist immer und ausschließlich das hiesige und jetzige.

Wenn wir also morgens die Augen öffnen, hebt sich der Vorhang. Und unser Wahrnehmungsorgan Körper plündert unseren Erinnerungsspeicher (voll der Gewebe aus gewesenem Sein) und führt ein Theaterstück auf über alles, was unser Sein aus Erinnerungen generiert. Wir sind darin Schauspieler, Regisseure, Requisiteure und das Publikum zugleich.

Das sind die Dinge abseits des Materiellen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten müssen: Wie führen wir uns auf?


Für unsere Tätigkeit als Körperarbeiter haben solche Überlegungen unmittelbaren Nutzen.

Halten wir fest: Veränderung im Körperlichen setzt eine Veränderung des Bewusstseins voraus und umgekehrt.

Man kann dauerhafte körperliche Veränderung herbeiführen, indem man bewusstseinsverändernde Maßnahmen einleitet – einerseits über körperliche Impulse, andererseits über das Einnehmen einer Haltung in diesem Vorgang, die es dem Klienten unmöglich macht, nicht in die Veränderung zu gehen.

Worin solch eine Haltung besteht, lässt sich, bei aller fallweisen Variabilität, ganz klar allgemein beschreiben. Wir müssen uns der Umstände gewahr sein, die ein aufrichtiges, erwachsenes Mensch-Sein ermöglichen – und in der Lage sein, diese zu vermitteln. Dazu zählt erstens: die ausgeprägte Fähigkeit, die eigene Person und Position sowie die Umstände der zu behandelnden Person zu betrachten, zweitens: der Perspektivenwechsel – mit einem feinen Ohr für die Vielstimmigkeit der jeweiligen Position, und drittens: die unverstellte Rede.

Viel Schein-Tiefsinn findet sich in den bunten Sprechblasen der Esoterik, und das Bedürfnis nach Einheit und ganzheitlichem Verständnis, das in unserer Gesellschaft immer deutlicher hervortritt, wird nicht selten mit lieblichen Wortlauten zu beschwichtigen versucht, in denen Vorstellungen einer allem zugrundeliegenden höheren Absicht anklingen, die, egal was wir tun, das Gute generiert.

Die Haltung, von der ich spreche, stellt sich gegen diese Art der Beschwichtigung. Ohne reflektiert teilnehmende Aufmerksamkeit wird sich nichts zum Besseren entwickeln. Und oft besteht das Heilsame gerade darin, dass wir aufrütteln und das Bewusstsein darauf richten, dass die Dinge endlich sind – dass wir endlich sind.

Wir sehen uns als Institut, das genau diesen Umstand anerkennt. Wir erforschen Wege, die es uns ermöglichen, damit umzugehen, und wir möchten Menschen, die sich dazu berufen fühlen, mit den Möglichkeiten dieser Wege vertraut machen.


Alexander R. Tavakoli
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Leiter der ISSÖ

Woher kommen wir, wer oder was bin ich, wohin gehen wir, was ist der Sinn des Lebens, was sind die Bedingungen und Zusammenhänge unserer Existenz?

Die Seinsfragen haben Religionen, philosophische Strömungen und auch Gesetzestexte hervorgebracht. Es scheint sich so zu verhalten, dass Antworten auf diese Fragen von vielerlei Faktoren beeinflusst sind.

Wir wollen mit „Sein & Bewusstsein“ einen Raum der Auseinandersetzung, Reflexion und persönlichen Weiterentwicklung schaffen, mit dem Ziel, sinnvolle und hilfreiche Ansätze und Werkzeuge für die Lebensreise bewusst und handhabbar zu machen.

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Seit uralten Zeiten beschäftigen sich Menschen mit der Frage des Seins.

Woher kommen wir, wer oder was bin ich, wohin gehen wir, was ist der Sinn des Lebens, was sind die Bedingungen und Zusammenhänge unserer Existenz, was bedeutet rechte Lebensführung, was ist Heilung, usw. usw.

Die Seinsfragen haben Religionen, philosophische Strömungen und auch Gesetzestexte hervorgebracht. Es scheint sich so zu verhalten, dass die Antworten auf diese Fragen unter anderem auch durch geografische und klimatische Faktoren stark beeinflusst sind.

So können wir zum Beispiel beobachten, dass in nordischen Bereichen das Weibliche einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt als in südlichen Gefilden. Wir beobachten auch, dass die alten Hochkulturen, beginnend bei den Sumerern, über die Assyrer und Babylonier, Perser und Ägypter bis hin zu den Griechen und den monotheistischen Religionen einen grundsätzlich anderen Zugang zu Fragen des Seins wählen als fernöstliche Zugänge wie etwa indische, chinesische und damit verwandte Ansätze.

Diesen Unterschied der Zugänge möchte ich mit Zitaten von Platon und Plotin auf der einen und von Nisargadatta Maharaj und Laotse auf der anderen Seite verdeutlichen:

„Und da das Sein und das Verschiedene durch alles und auch durch einander hindurchgehen: so wird nun das Verschiedene als an dem Seienden Anteil habenden freilich sein vermöge dieses Anteils, nicht aber jenes, woran es Anteil hat, sondern verschieden: als verschieden aber von dem Seienden seiend ist es aber offensichtlich ganz notwendig nicht seiendes Sein. Wiederum nun das Seiende, als am Verschiedenen Anteil habend, ist ja verschieden von allen anderen Gattungen, und von ihnen insgesamt verschieden ist ja eine jede von ihnen nicht, noch auch alle anderen insgesamt, sondern nur es selbst.“ (Platon: Sophistes)

„Wenn die Ideen (über das Sein) nun viele sind, so muss es notwendig ein Gemeinsames in ihnen geben und auch ein Eigenes, wodurch sich die eine von der anderen unterscheidet. Dies Eigene also, dieser absondernde Unterschied, ist die individuelle Gestalt der Idee. Ist aber eine Gestalt da, so gibt es etwas, das gestaltet wird.“ (Plotin: Enneaden II)

Frage: Was heißt es, mich selbst zu kennen? Wenn ich mich selbst kenne, was ist es genau, das ich dann kenne?
Maharaj: Alles, was Sie nicht sind.
Frage: Und was bin ich nicht?
Maharaj: Was Sie sind, sind Sie bereits. Durch das Wissen, was Sie nicht sind, werden Sie frei davon und bleiben so in Ihrem eigenen, natürlichen Zustand. Alles geschieht vollkommen spontan und ohne Anstrengung.
Frage: Was werde ich herausfinden?
Maharay: Sie werden entdecken, dass es nichts zu entdecken gibt. Sie sind, was Sie sind und das ist alles.
Frage: Doch was bin ich letzten Endes?
Maharaj: Die totale Verneinung von allem, was Sie nicht sind.
Frage: Das verstehe ich nicht.
Maharaj: Es ist Ihre fixe Idee, dass Sie irgendetwas sein müssen, die Sie blind macht.
Frage: Wie kann ich diese Vorstellung loswerden?
Maharaj: Indem Sie mir vertrauen, wenn ich Ihnen sage, dass Sie reine Bewusstheit sind, die Ihr Bewusstsein und seinen unbegrenzten Inhalt erleuchtet. Erkennen Sie dies, und leben Sie entsprechend. Wenn Sie mir nicht glauben können, dann gehen Sie in sich. Fragen Sie sich ‚Was bin ich‘, oder konzentrieren Sie Ihren Verstand auf ‚Ich bin‘, was nichts weiter ist als einfaches, reines Sein.
Frage: Wovon ist mein Vertrauen in Sie abhängig?
Maharaj: Von Ihrer Fähigkeit, in anderer Menschen Herzen zu schauen. Und wenn Sie nicht in mein Herz schauen können, schauen Sie in Ihr eigenes.
Frage: Ich kann beides nicht.
Maharaj: Dann läutern Sie sich durch ein ordentliches und nutzvolles Leben. Beobachten Sie Ihre Gedanken, Gefühle, Worte und Taten. Das wird Ihre Sichtweise klären.“ (Sri Nirargadatta Maharaj: Ich bin)

„Rückkehr ist die Bewegung des Tao.
Schwachheit ist die Wirkung des Tao.
Alle Dinge unter dem Himmel entstehen im Sein.
Das Sein entsteht im Nichtsein.“ (Laotse: Tao Te King)

Naturvölker vertreten eine Vorstellung des Seins, die wir allgemein als schamanisch bezeichnen können. In Zeiten extremer Ausbeutung der Ressourcen der Erde und der damit verbundenen Zerstörung unserer Lebensgrundlagen nimmt in unserer Gesellschaft die Sehnsucht nach Ausdrucksformen des Seins, die Respekt vor der Natur und ihren Wesen zur Grundlage haben wie bei den Naturvölkern, stark zu.

Unsere traditionellen Werte sind nach wie vor durch unser kollektives Unterbewusstes, auf Grundlage der jüdisch-christlichen Tradition, ein Hauptpfeiler unserer Seinsvorstellungen, gleichzeitig halten östliche und schamanistische Sichtweisen Einzug in unsere Wertsysteme und führen aufgrund mangelnder Klarheit und Reflexion zu einem undurchsichtigen Dschungel voller Behauptungen und Heilsversprechen, einiges berechtigt und vieles unreflektiert und absurd bis hin zu geradezu gefährlich.

Wir wollen mit „Sein & Bewusstsein“ einen Raum der Auseinandersetzung, Reflexion und persönlichen Weiterentwicklung schaffen, mit dem Ziel, sinnvolle und hilfreiche Ansätze und Werkzeuge für die Lebensreise bewusst und handhabbar zu machen und, wo es möglich ist, Ordnung im gegenwärtigen Chaos schaffen.

Diese Art der Auseinandersetzung soll begleitet werden von Menschen, die sich um Klarheit und Bewusstheit bemühen, bzw. bemüht haben und die zu den Themen des Seins Sinnvolles beitragen können.

Willkommen!


Christian Schnabl
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